Deutschland

Das DFB-Team hat eine absolute Hammergruppe erwischt: Deutschland trifft bei der EM-Vorrunde in Gruppe F auf den amtierenden Weltmeister Frankreich, EM-Titelverteidiger Portugal und Ungarn. Es ist die einzige EM-Gruppe, in der gleich zwei Weltmeister und sogar drei Europameister stehen. Vorteil für das deutsche Team: Alle drei Gruppenspiele trägt man in der Münchner Allianz Arena aus.
So lief Deutschlands Qualifikation für die EM 2021
Die deutsche Nationalmannschaft ist bei dem EM 2021 auf Wiedergutmachungskurs. Das Desaster von Russland 2018 haben viele Fans noch vor Augen: Nie zuvor schied eine deutsche Mannschaft bei einer WM in der Vorrunde aus und somit steht das DFB-Team nun mehr denn je in der Bringschuld. Knapp zwei Monate nach der WM fuhr die Mannschaft von Trainer Jogi Löw zwar mit einem 0:0 in der neu geschaffenen UEFA Nations League gegen den frischgebackenen Weltmeister Frankreich einen Achtungserfolg ein, stieg nach Niederlagen gegen Holland und Frankreich letztlich dennoch aus selbiger Ende 2018 ab. Es war der traurige Schlussakkord eines der schwächsten Jahre der Verbandsgeschichte.
Im März 2019, unmittelbar vor dem Start der Qualifikation für die EM 2021, folgte die Ausbootung der Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng. “2019 ist für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das Jahr des Neubeginns”, sagte Löw, für den es an der Zeit sei, „die Weichen für die Zukunft zu stellen. Wir wollen der Mannschaft ein neues Gesicht geben.“ Es folgte ein mittelgroßer Debütantenball, unter anderem mit Spielern wie Luca Waldschmidt (Benfica Lissabon), Robin Koch (Leeds United), Suat Serdar (Schalke 04), Lukas Klostermann (RB Leipzig), Robin Gosens (Atalanta Bergamo), Philipp Max (PSV Eindhoven), Florian Neuhaus und Jonas Hofmann (beide Borussia Mönchengladbach).
Die Qualifikation für die EURO 2020, die bekanntlich aufgrund der Corona-Pandemie nun erst 2021 stattfindet, meisterte das DFB-Team dann erstaunlich souverän. Acht Spiele, sieben Siege, darunter Kantersiege gegen Estland (8:0) und Nordirland (6:1), bei nur eine Niederlage gegen die Niederlande (2:4). Mit einem 4:0-Erfolg gegen Weißrussland löste Deutschland vorzeitig das Ticket für die EM 2021 und schloss die EM-Quali im November 2019 letztlich als Gruppensieger ab. Die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes nimmt somit zum 13. Mal in Folge an einer EM-Endrunde teil.
Der deutsche Kader bei der EM 2021
Der Punkt Wiedergutmachung soll mit einem fast rundum erneuerten Team gelingen. Gestandene und satte Spieler aus dem Kader der WM 2018 wie Mesut Özil, Sami Khedira, Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng sind aussortiert oder zurückgetreten. Frische Kräfte wie Leroy Sané, Serge Gnabry und Kai Havertz dafür (wieder) hinzugekommen.
Es steht außer Frage, dass Deutschland bei der EM 2021 mit einem qualitativ hochwertigen Kader antritt. Mit Manuel Neuer, Niklas Süle, Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Serge Gnabry gehören immerhin gleich fünf aktuelle Champions-League-Sieger zum Stammpersonal von Joachim Löw. Hinzu kommen mit Toni Kroos, Ilkay Gündogan und Marco Reus wahnsinnig erfahrene Spieler, wobei insbesondere der Dortmunder Reus immer wieder durch Verletzungen ausfiel. Erstmals in das Rampenlicht eines großen Turniers rückt Kai Havertz. Das Mega-Talent in Diensten von Chelsea zeigte in den vergangenen Länderspielen immer wieder seine überragenden Qualitäten und dürfte im Mittelfeld ebenso erste Wahl sein wie sein Teamkollege Timo Werner im Angriff. Gemeinsam mit Leroy Sané und Serge Gnabry bildet der Ex-Leipziger ein schnelles, technisch versiertes Dreigestirn.
Die größte Schwachstelle stellt ganz klar die Abwehr dar. Löw hat sich noch nicht dazu entschieden, ob er mit Dreier- oder Viererkette spielen lässt. An der Seite von Niklas Süle dürfte Gladbachs Matthias Ginter den Vorzug vor Antonio Rüdiger erhalten. Die Außenpositionen sind dagegen vakant: Weder Nico Schulz und Robin Gosens auf der linken noch Ridle Baku und Benjamin Henrichs auf der rechten Seite konnten vollends überzeugen.
Das deutsche Aufgebot nach Positionen:
Tor: Manuel Neuer (Bayern München), Bernd Leno (FC Arsenal), Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt), Oliver Baumann (TSG Hoffenheim)
Abwehr: Matthias Ginter (Borussia Mönchengladbach), Robin Gosens (Atalanta Bergamo), Benjamin Henrichs (RB Leipzig), Robin Koch (Leeds United), Antonio Rüdiger (FC Chelsea), Nico Schulz (Borussia Dortmund), Niklas Stark (Hertha BSC), Jonathan Tah (Bayer Leverkusen), Philipp Max (PSV Eindhoven), Felix Uduokhai (FC Augsburg), Ridle Baku (VfL Wolfsburg)
Mittelfeld: Nadiem Amiri (Bayer Leverkusen), Julian Brandt, Mahmoud Dahoud (beide Borussia Dortmund), Leon Goretzka (alle Bayern München), Ilkay Gündogan (Manchester City), Jonas Hofmann, Florian Neuhaus (beide Borussia Mönchengladbach), Toni Kroos (Real Madrid)
Angriff: Serge Gnabry, Leroy Sané (beide Bayern München), Luca Waldschmidt (Benfica Lissabon), Timo Werner (FC Chelsea)
Trainer: Joachim Löw
Der aktuelle Trend
Nach dem sportlich soliden Jahr 2019 spielte die deutsche Nationalmannschaft im „Corona-Jahr 2020“ zunächst drei Mal Remis in Folge, siegte gegen die Ukraine dann aber in Hin- und Rückspiel.
Nur ein einziges Mal spielte das DFB-Team im Jahr 2020 „zu Null“ (1:0 im Test gegen Tschechien). Im Spiel nach vorne überzeugte man in den meisten Duellen, auffällig war aber auch die mangelnde Defensivleistung: Gegen die Türkei und die Schweiz fing man sich jeweils drei Gegentore. Historisch wurde es zum Jahresabschluss in Sevilla: Beim Nations-League-Rückspiel wurde Deutschland mit 0:6 von Spanien nach Hause geschickt. Es war die zweithöchste Niederlage der deutschen Nationalmannschaft aller Zeiten und brachte den „Ewigen Jogi“ an den Rande eines Rauswurfs. Nach einer Krisensitzung beschloss das DFB-Präsidium, vorerst weiter an Löw festzuhalten.
Neben der sportlich wechselhaften Leistung sorgt man sich beim DFB vor allem auch über das eigene angekratzte Image. Die Entfremdung der Nationalmannschaft von ihrer Fan-Basis war schon unmittelbar nach dem Titelgewinn in Rio de Janeiro zu spüren. Aufgrund steigender Ticketpreise waren Nationalmannschaftsheimspiele in den Jahren vor der Coronakrise selten ausverkauft. Die unzähligen Testpartien und die neu eingeführte Nations League entwerteten die DFB-Länderspiele. Auch ließ der Verband Bodenständigkeit vermissen. Etwa, als man sich dazu entschied, dass eine rund dreistündige Busfahrt von Stuttgart nach Basel den Nationalspielern nicht zuzumuten sei und stattdessen mit dem Flugzeug in die Schweiz gereist wurde. Unglückliche Nebenschauplätze, für die der Kader der aktuellen deutschen Nationalmannschaft quasi nichts kann. Dennoch ist diese Unruhe keine optimale Vorbereitung auf ein Großturnier wie die EM 2021.
Die deutschen Spiele bei der EM 2021 live im TV
Während die EM-Qualifikationsspiele noch beim Privatsender RTL live und exklusiv übertragen wurden, laufen die Spiele der EM 2021 im deutschen Fernsehen live wie gewohnt bei ARD und ZDF. Die ARD erklärte allerdings, nicht aus allen Stadien vor Ort zu berichten. Man werde aus der Sportschau-Zentrale in Köln senden und nur bei ausgewählten EM-Spielen live in den Stadien sein. Als ARD-Experte wird Weltmeister Bastian Schweinsteiger zum Einsatz kommen. Für das ZDF wird bei der EM 2021 ebenfalls ein Spieler der Weltmeistermannschaft von 2014 als Experte zu sehen sein: Per Mertesacker trat 2020 die Nachfolge von Oliver Kahn als Experte beim ZDF an.
Es ist übrigens vorerst die letzte Fußball-Europameisterschaft, bei der die Partien im Free-TV bei den Öffentlich-Rechtlichen live ausgestrahlt werden. Für die EM 2024 sicherte sich die Deutsche Telekom die Übertragungsrechte. Ein kleines Hintertürchen bleibt ARD und ZDF sowie sämtliche andere TV-Anstalten: Diese können noch bei der Vergabe von Sublizenzen ein Stück vom Live-Kuchen für die EM 2024 abbekommen.
FACTS ZUR DEUTSCHEN MANNSCHAFT
1 | Alle drei Gruppenspiele gegen Frankreich, Portugal und Ungarn werden in München ausgetragen. In der Finalrunde geht das Heimrecht verloren. Übrigens: Bereits 2014 gab der DFB bekannt, auf eine Bewerbung Münchens um die Final- und Halbfinalspiele zugunsten Londons verzichten zu wollen, wenn im Gegenzug der englische Fußballverband die deutsche Bewerbung um die Ausrichtung der EM 2024 unterstützt. |
2. | Joachim Löw ist der mit Abstand dienstälteste Trainer bei der EM 2021. Kein anderer Coach ist länger an der Seitenlinie einer Nationalmannschaft (übrigens weltweit). Der Bundestrainer ist seit dem 12. Juli 2006 im Amt und hat noch einen Vertrag als Cheftrainer bis Juli 2022. Frankreichs Trainer Didier Deschamps folgt auf Platz zwei mit fast neun Jahren im Amt. |
3. | Deutschland könnte bei einem Titelgewinn bei der EM 2021 zum alleinigen Rekord-Europameister aufsteigen. Bislang gewann die deutsche Nationalmannschaft drei Mal die EM, ebenso wie Spanien. |
4. | Geht es nach dem Internetportal transfermarkt.de, dann steht kein deutscher Spieler in der „wertvollsten Elf der EM 2021“. Den höchsten Marktwert innerhalb des DFB-Teams hat aktuell Serge Gnabry mit 90 Millionen Euro. Auf seiner Position wird der Engländer Jadon Sancho allerdings mit einem Marktwert in Höhe von 117 Millionen Euro taxiert. |
5. | Deutschlands letztes EM-Spiel war im Halbfinale der Europameisterschaft 2016 eine 0:2-Niederlage gegen Frankreich. Bei der EM 2021 gibt es im ersten Gruppenspiel also genügend Grund zur Rache für das Löw-Team. |
Prognose für die deutsche Mannschaft bei der EM 2021
Die deutsche Nationalmannschaft ist immer noch im erweiterten Favoritenkreis für den Titel. Deutschland gehört aber, im Gegensatz zu den letzten großen Turnieren wie Welt- und Europameisterschaften, erstmals seit langer Zeit nicht mehr zu den Top-3-Nationen. Das DFB-Team spielt nach der katastrophalen WM 2018 nicht mehr die allererste Geige, völlig chancenlos ist Deutschland auf den Titelgewinn bei der EM 2021 jedoch nicht. Fast alle Buchmacher quotieren die Deutschen hinter Belgien, England, Frankreich, aber eben auch noch vor Spanien, den Niederlanden, Italien oder Titelverteidiger Portugal. Und das aus gutem Grund: Deutschland wird, trotz des desaströsen Abschneidens in Russland, als starke Turniertruppe bewertet. Mit dem DFB-Team ist immer zu rechnen.
Der dreimalige Europameister lässt insbesondere bei Top-Spielen die Muskeln spielen, der Name „Turniermannschaft“ kommt nicht von ungefähr. Die Mannschaft von Jogi Löw erreichte bei den letzten drei Europameisterschaften stets mindestens das Halbfinale. Allein: Der letzte EM-Titel liegt für die deutsche Nationalmannschaft nun schon fast 25 Jahre zurück. Es ist davon auszugehen, dass Löw diesen Titel unbedingt in seiner Vita stehen haben möchte, um nach einer tiefen Leistungsdelle im Jahr 2018 letztlich mit dem EM-Pokal 2021 Fans und Mannschaft wieder zur versöhnen.
Die Gruppenauslosung bei der EM 2021 spielte den Deutschen allerdings überhaupt nicht in die Karten: Das DFB-Team hat mit Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal die denkbar schwierigste Vorrundengruppe erwischt. Gegen die Franzosen (15.06., Anstoß 21 Uhr) geht Deutschland als Außenseiter in die Partie, während man gegen Portugal (19.06., Anstoß 18 Uhr) leicht favorisiert startet. Das Spiel gegen Cristiano Ronaldo und Co. könnte bereits entscheidend für den weiteren Turnierverlauf sein. Wir gehen davon aus, dass sich Deutschland mit Portugal um Platz zwei der Gruppe F duelliert. Im Spiel gegen den Underdog der Gruppe F, Ungarn (23.06., Anstoß 21 Uhr), ist ein Sieg absolute Pflicht für das Erreichen des Achtelfinals.
Als Zweitplatzierter droht bereits im Achtelfinale der EM 2021 die als sehr stark eingestuften Engländer oder Vize-Weltmeister Kroatien. Gewänne Deutschland die Gruppe F, würde im Achtelfinale der EM 2021 ein vermeintlich leichterer Gegner warten: Deutschland müsste dann gegen den besten Drittplatzierten aus den Gruppen A-C gehen. Die Schweiz, die Türkei oder auch Dänemark wären hier mögliche Gegner. Qualifiziert sich das DFB-Team als einer der besten Gruppendritten für die K.o.-Runde bei der EM 2021, so träfe man im Achtelfinale mutmaßlich auf Belgien oder die Niederlande.
Unser Tipp:
Deutschland wird bei der EM 2021 mit deutlich geringeren Erwartungen ins Turnier starten als bei den vorangegangenen Welt- oder Europameisterschaften. Schafft es vor Löw die wackelnde Defensive in den Griff zu bekommen, ist ein Weiterkommen in der Hammer-Gruppe F absolut drin. Allein: Es dürfte gegen die offensiv hochkarätig besetzten Teams aus Frankreich (Griezmann, Mbappé) und Portugal (Cristiano Ronaldo, João Félix) unheimlich schwer werden. Verliert die deutsche Mannschaft gegen Frankreich und Portugal nicht – und das halten wir nun nicht für völlig utopisch – kann gegen Ungarn sogar der Gruppensieg drin sein. Gelingt es dem Team um Neuer, Kroos und Werner den Schwung aus den in München stattfindenden Heimspielen mit in die K.o.-Phase zu bekommen, ist mit etwas Glück das Viertel- und Halbfinale drin. Mehr trauen wir der deutschen Nationalmannschaft mit ihrem überwiegend unerfahrenen Kader nicht zu. Der vierte EM-Titel für Deutschland sollte dann lieber das Ziel bei der Heim-EM 2024 sein.